Leseprobe: Testpilot Bill Park berichtet
Ich war der Chefpilot für das Have Blue Programm. Mein Stellvertreter war ein Air Force Mann, Lieutenant Colonel Ken Dyson. Anfangs wussten wir nicht wirklich viel über das Flugzeug. Es war auf billige Weise gebaut worden. Es war nur ein Technologiedemonstrator, der anschließend verschrottet werden sollte. Die Bremsen waren zum Gotterbarmen, das Cockpit viel zu klein und vollgestopft. Die gesamte Avionik stammte aus nicht mehr benötigten Lagerbeständen. Ich erinnere mich daran, dass der Air Force Colonel Ken Dyson zum Testgelände kam und fragte, wieviel wir für das gesamte Programm ausgegeben hätten. Ich antwortete 34 Millionen Dollar. Er sagte: "Nee, nee, ich meine nicht für ein Flugzeug. Ich meine für beide Flugzeuge – das gesamte Programm." Ich wiederholte die Zahl. Er konnte es nicht glauben.
Der offizielle Name des Flugzeugs lautete XST für "Experimental Stealth Technology Testbed". Ein dynamisches Labor in einer definierten Umgebung. Jeder, der Zugang zum Programm hatte, wusste nur zu genau, welche Bedeutung dieser Prototyp für die Zukunft der Air Force haben könnte. Sollte diese Flugzeug seinen Erwartungen gerecht werden, so würden wir Geschichte schreiben. Die Luftkriegsführung und -taktik würden für immer verändert. Die Tarnkappentechnologie würde den Himmel beherrschen. Folglich wartete jeder Beteiligte ungeduldig auf die Versuchsergebnisse, doch ich war derjenige, der den Kopf hinhalten musste. Und ich hatte keine Lust, Kopf und Kragen zu riskieren, indem ich irgendwelche Abkürzungen nahm oder vorzeitig mit den Testflügen begann.
Stets war ein Hubschrauber mit einem Rettungssanitäter an Bord in der Luft, wenn ich einen Testflug machte. Im Mai 1978, das Programm lief schon anderthalb Jahre und ich hatte zirka 40 Flüge absolviert, waren wir soweit, die nächste Phase des Programms beginnen zu können: die Erprobung mit echten Radarsystemen. Der Stützpunktkommandant Colonel Larry McClain unterbrach am Morgen des 4. Mai 1978 mein Frühstück, um mir mitzuteilen, dass er heute mein Begleitflugzeug fliegen würde. Zudem wollte er den Sanitäter vom Testflug abziehen, da er ihn im Hospital des Stützpunktes benötigte. Ich schüttelte den Kopf und sagte ihm: "Weder Sie noch ich werden das tun, Colonel. Wir sind mit Have Blue immer noch nicht ganz über den Berg und ich fühle mich einfach deutlich besser, wenn der Sanitäter dabei ist, sollte ich seine Hilfe vielleicht brauchen."
Wie sich später herausstellte, hatte ich soeben mein Leben gerettet.
Einige Stunden danach wollte ich meinen Routineflug beenden und kam zur Landung herein. Meine Geschwindigkeit betrug 230 km/h und ich hatte noch etwas zu viel Höhe. Gerade als ich das Flugzeug abfangen und die Nase herunternehmen wollte, verlor ich meinen Anstellwinkel und dadurch auch den Auftrieb, und das Flugzeug kippte mehr als zwei Meter zur Seite und krachte auf die Landebahn. Ich befürchtete, dass ich von der Landebahn rutsche und dabei das Fahrwerk verliere. Also entschied ich mich, die Triebwerke auf volle Leistung zu bringen, durchzustarten und eine Platzrunde zu drehen. Ich wusste nicht, dass diese harte Landung das rechte Fahrwerksbein verbogen hatte. Als ich durchstartete, fuhr ich automatisch das Fahrwerk ein und kam wieder zur Landung herein. Ich fuhr das Fahrwerk aus, aber mein Begleitpilot Colonel McClain, meldete mir über Funk, dass nur das linke Fahrwerksbein ausgefahren sei.
Ich versuchte alles Mögliche, rüttelte und schüttelte das Flugzeug ordentlich durch, drehte mehrere Rollen, um das rechte Fahrwerksbein frei zu bekommen. Ich konnte ja nicht wissen, dass es hoffnungslos verbogen war. Ich versuchte eine Landung mit nur einem Fahrwerksbein, berührte kurz die Landebahn mit dem linken Fahrwerk und hoffte, dass der Landestoß das rechte Fahrwerk freigeben würde. Ich muss sagen, das war ein teuflisches Manöver und leider vollkommen zwecklos.
Danach machte ich mir ernste Sorgen. Während ich wieder auf 3.000 Meter stieg, fiel eines der beiden Triebwerke aus. Kein Treibstoff mehr. Ich funkte: "Ich steige jetzt aus oder hat jemand eine bessere Idee?" Niemand hatte eine.
Ich hätte lieber etwas mehr Höhe zum Aussteigen gehabt, doch ich wusste, dass ich hier rauskommen musste, bevor auch das zweite Triebwerk ausfällt. Denn dann würden mir nur noch zwei Sekunden bleiben, bis ich die Kontrolle über das Flugzeug verlöre.
Das Herausschießen mit dem Schleudersitz macht einen Mordslärm – so als würde man es mit einem rasenden Zug zu tun haben. Flammen und Rauch umgaben mich, als ich herausgeschossen wurde. Dann wurde mir schwarz vor Augen. Unglück- licherweise knallte ich mit dem Kopf gegen den Sitz und ich verlor das Bewusstsein.
Colonel McClain sah, dass ich leblos am Fallschirm baumelte und funkte an die Basis: "Jetzt haben wir den Salat." Ich war immer noch bewusstlos, als ich mit dem Gesicht nach unten auf dem Wüstenboden landete. Weil es windig war, schleifte mich der Fallschirm mit dem Gesicht am Boden mehr als 15 Meter durch Sand und Geröll. Aber der Hubi war sofort zu Stelle. Der Sanitäter sprang heraus und erreichte mich, als ich schon blau anlief. Mund und Nase waren mit Sand verstopft und ich war kurz davor zu ersticken. Eine oder zwei Minuten später und meine Frau wäre zur Witwe geworden.
Ich wurde ins Krankenhaus geflogen. Als ich wieder zu mir kam, standen meine Frau und Ben neben meinem Bett. Ben hatte sie im Firmenjet aus Burbank mitgebracht. Während meiner bisherigen 15-jährigen Praxis als Testpilot bei den Skunk Works musste ich viermal aussteigen und ich hatte dabei nicht eine einzige Schramme abbekommen. Diesmal hatte ich schlimme Kopfschmerzen und spürte einen pochenden Schmerz im meinem eingegipsten Bein. Ein gebrochenes Bein war in der Testfliegerei kein Problem, aber der stechende Kopfschmerz war unerträglich. Ich hatte mir ein mittleres Schädel-Hirn-Trauma zugezogen und das bedeutete das Aus für mich. Für Berufspiloten waren die Regeln in Bezug auf Kopfverletzungen sehr streng. Die Zeit meiner Versuchsfliegerei war zu Ende. Ben ernannte mich zum Chefpiloten und übertrug mir die Verantwortung für die Führung unserer gesamten Testpilotentruppe.
Lieutenant Colonel Ken Dyson führte die Versuche mit Have Blue fort. Mit dem verbliebenen Prototyp flog er 65 Einsätze gegen Radarsysteme. Am 11. Juli 1979 bekam er zwei Warnanzeigen des Hydrauliksystems, als er noch etwa 50 Kilometer vom Stützpunkt entfernt war. Weil ihm klar war, dass das Flugzeug bei Leistungsverlust instabil wurde, entschied er sich vorher auszusteigen. Ken erreichte mit dem Fallschirm sicher den Wüstenboden. Zur Zeit des Absturzes war nur noch ein weiterer Testflug geplant und die meisten Testergebnisse lagen schon vor.
Have Blue wurde gegen die modernsten Radarsysteme der Welt eingesetzt und brach, soweit ich weiß, alle Rekorde für die kleinste Radarsignatur. Einmal flogen wir direkt neben einer großen Boeing E-3 AWACS, die mit all ihrer leistungsstarken Elektronik die Umgebung in alle Richtungen abtastete. Diese Typen liebten es zu behaupten, sie könnten eine Stecknadel im Heuhaufen finden. Okay, vielleicht sind Stecknadeln manchmal leichter zu finden als Flugzeuge.